Wie alles begann…

Und mit ihm fing alles an!

In meinen letzten Sommerferien, kurz vor Beginn meiner Tierpflegerausbildung, absolvierte ich ein freiwilliges Praktikum in einer Tierklinik.

Nachdem man sich nicht mehr daran erinnerte, dass ich an diesem besagten Tag jenes Praktikum beginnen wollte und ich eine halbe Ewigkeit im Wartebereich wartete, nahm man mich endlich mit ins hintere Behandlungszimmer und zeigte mir die dort untergebrachten Tiere, die nach OP´s etc. in einzelnen Boxen mit Rotlichtlampen untergebracht waren.

In einer dieser Boxen lag er – ein wunderschöner, aber sehr schwacher Kater, der nur ganz kurz den Kopf heben konnte.

Als ich einen Moment allein war, machte ich die Box einen kleinen Spalt auf, um ihn zu streicheln. Er fing leise an zu schnurren und ich begann mit ihm zu sprechen. Ich wollte ihn erst “Lucky” nennen, aber es gab schon so viele Tiere, die so hießen. Also entschied  ich mich für “Chance”. Er hatte einen unglaublichen Lebenswillen, obwohl er sehr schwer verletzte war und sich kaum bewegen konnte.

Eine der Schwestern erzählte mir dann, dass er erst in der Nacht eingeliefert wurde. Eine Frau, die Zeitungen austrug, hatte beobachtet, wie ein Autofahrer extra auf die Gegenspur fuhr, um ihn zu überfahren.

Das die Frau diesen Vorfall beobachtete und die Klinik gleich um die Ecke war, war sein Glück. Er ist meterweit geflogen, hatte Lungenbluten und eine starke Nervenquetschung des Rückenmarks.

Als er nach 24 Stunden noch kein Gefühl in den Hinterbeinen hatte, sprach man schon davon, das er wahrscheinlich eingeschläfert werden soll.

Als ich Feierabend hatte, habe ich mich an den PC gesetzt und Zettel, mit einer bestmöglichen Beschreibung des Katers.

Diese habe ich dann am nächsten Tag an jeder Straßenbahn – und Bushaltestelle angebracht.

Tatsächlich meldetet sich die Tochter der Familie, zu der Chance (ER hieß “EMMA”!) gehörte. Sie kam mit ihrem Opa in die Klinik und fing an zu weinen, als sie ihn so sah. Da die Familie in die Schweiz auswandern wollte, sollte Chance zu einer Freundin. Diese traute sich aber nicht zu, sich um ein behindertes Tier zu kümmern. Man sagte den beiden, dass er ins benachbarte Tierheim kommen würde. Der Opa bezahlte die Rechnung und das war´s! Als sie aus der Tür waren, hieß es : “Na das Tierheim kann sowas auch nicht vermitteln, dann schläfern wir ihn jetzt ein!”

Ich sprach dazwischen und sagte, dass ich es versuchen möchte, dem Kater zu helfen. Einschläfern könnte man ja immernoch.

Der Tierarzt zeigte mir einmal, ganz schnell, wie man die Blase manuell entleert und ich verließ mit meinem Chance die Tierklinik.

 

Chance tat mir Leid! Ich übte alle zwei Stunden das Entleeren der Blase. Es hat ihm gar nicht gefallen und ich war auch schon verzweifelt. Aber ich wusste, wenn ich es nicht lerne, würde es seinen Tod bedeuten. Also übten wir solange weiter, bis es immer besser wurde. Als das klappte, schnurrte er sogar immer dabei.

Irgendwann kam mir dann die Idee, ihm eine Babywindel anzuziehen, weil durch das Gerobbe, sein Po wund wurde. Wenn es ganz schlimm war, habe ich noch Puder verwendet. Ich zog ihm dann einen kleinen Babyschlüpfer über die Windel, weil er öfter mal Durchfall hatte.

 

Die erste Zeit, als wir noch üben mussten, seine Blase zu entleeren, hatte er immer wieder mal eine Blasenentzündung. Je besser ich das Ausdrucken konnte, desto seltener wurden die Entzündungen.

 

Chance war sehr anhänglich. Da er regelmäßig (morgens und abends) entleert werden musste, hatte ich ihn einmal mit in Österreich und auch mit in Frankreich. Er hatte keine Angst, war auch kaum aufgeregt. Hauptsache er konnte dabei sein.

Mir fiel schnell auf, dass er rasch anfing zu hecheln, wenn er sich die Couch oder das Bett hochzog. Ich ging mit ihm zum Tierarzt, der mir offenbarte, dass er einen schweren Herzfehler haben muss. Daraufhin ging ich zu einer sehr guten Kardiologin. Er hatte nur noch eine 16%ige Herzleistung. Ich war total geschockt! Es war ein angeborener Herzfehler – ein Loch in der Herzscheidewand und eine Klappe funktionierte auch nicht richtig. Chance war da gerade mal knapp zwei Jahre alt!

Er bekam also Medikamente und ich musste alle drei Monate zur Kontrolle. Mit meinem kleinen Azubigehalt war das ganz schön hart. Aber das war mir egal, Hauptsache meinem Baby ging es besser. Ich zahlte also fleißig meine Schulden in Raten ab und es ging ihm immer besser. Er hechelte auch kaum noch.

 

Plötzlich wurde er schwer Nierenkrank…ich ging mit ihm eines Abends in die Klinik, weil er erbrach und nicht mehr aufhörte.

Er kam an den Tropf und auf einmal fing er sehr schnell an zu atmen. Ich rief um Hilfe und er wurde in einen Behandlungsraum gebracht, zu dem ich keinen Zutritt hatte. Ich war total fertig!

Etwas später kam eine Ärztin mit ihm zu mir und erklärte, dass er akutes Nierenversagen habe und in der Klinik bleiben müsse. Zudem sagte sie mir, dass man ja erstmal sehen müsste, wie er mit seiner Behinderung klar kommt. Ich sagte ihr ausdrücklich, dass sie nichts ohne mein Einverständnis zu entscheiden haben und er sehr gut mit der Behinderung klar kommt!

Ich habe in der Nacht kein Auge zugetan, immer mit der Angst, dass ein Anruf der Klinik kommt und mir das Schlimmste übermittelt. Zum Glück war meine Mama bei mir und unterstützte mich.

Am nächsten Tag hielt ich es nicht mehr aus und wir fuhren in die Klinik, um zu schauen, wie es Chance geht.

 

Man zeigte ihn mir kurz und er sah munter aus. Aber ich musste nochmal ohne ihn nach Hause.

Am kommenden Tag konnte ich ihn dann endlich abholen! Er brauchte nun Nierendiät. Sie gaben mir gleich eine ganze Palette Futter mit, welches er angeblich seht gern fraß (Hill´s). Die Ärztin sagte mir dann noch, dass er ja wirklich sehr gut mit seinem Handicap klar kommt und er ja einen sehr starken Lebenswillen hätte! Er hätte richtig gut gefressen, ganz viel geschmust und geschnurrt.

 

Als wir zu Hause waren, wollte er das Futter schon kaum fressen… ich versuchte es dann mit “Royal Canin Nirendiät”. Ich konnte ihm aber auch nur das Feuchtfutter geben, weil er von Trockenfutter Durchfall bekam.

 

nun ging ich mit ihm in regelmäßigen Abständen zur Blutabnahme, um die Nierenwerte zu überprüfen, die stetig besser wurden. Um kein Risiko einzugehen, habe ich ihn von nun an vier Mal am Tag entleert, ca. alle acht Stunden.

Daher hatte ich ihn immer bei mir. Vor der Arbeit habe ich ihn bei meiner Freundin und Kollegin gelassen. Dafür habe ich sie dann mitgenommen und auch wieder nach Hause gebracht. So konnte ich ihn immer gleich ausdrücken.

 

Inzwischen hatte er auch zwei Spielkameraden bekommen, mit denen er fleißig spielte.

Jahre später, am 27.11.2008, hatte er wieder einen Termin bei der Kardiologin. Seine Herzleistung ist auf 64% gestiegen! Sie bestätigte mir noch, dass er so auf jeden Fall seinen sechsten Geburtstag erleben würde und wir sogar die Medikamente bald etwas reduziere könnten. Ich war so unglaublich glücklich!

 

Am nächsten Tag, am 28.11.2008, änderte sich alles!

Als ich morgens aufstand und ihn entleeren wollte, fing er an zu erbrechen, hatte plötzlich starken Durchfall und hatte ganz blasse Schleimhäute. Ich fuhr sofort mit ihm zu meinem Tierarzt – ein großer Fehler! Er hätte ihm zwar Blut abnehmen können, aber er hätte dieses ja erst ins Labor schicken müssen. Ich fuhr mit Chance also so schnell es geht zur Tierklinik und rief unterwegs dort an, um mitzuteilen, dass ich mit einem Notfall käme.

Wir kamen dort an und der Tierarzt unterbrach eine Behandlung an einem Schäferhund, damit wir rein können. Der Tierarzt motzte mich n und sagte: “Das ist doch kein Notfall! Gehen Sie bitte wieder raus, ich hole Sie wieder rein, wenn ich die vorige Behandlung beendet habe!”

Als wir dann endlich richtig dran waren und er kaum Blut aus Chance bekam, weil er inzwischen dehydriert war, meinte er: “Oh, na das ist ja doch schon sehr Ernst!”

Ich konnte kaum noch was sagen! Chance wurde mir entrissen, um ihn an den Tropf zu hängen. Ich schrie noch hinterher, dass sie die Lösung bitte nur sehr langsam tröpfeln lassen sollen, da er schwer herzkrank ist! Ich durfte nicht mal mit zu ihm, sie schickten mich nach Hause!

 

Ca. vier Stunden später bekam ich einen Anruf vom Tierarzt: “Es tut mir Leid, aber das Tierchen ist gerade verstorben!”

 

Ich habe nur noch geschrien und Mama hat uns in die Klinik gefahren, um ihn abzuholen.

Mein Baby ist tot!

 

Wir begruben ihn im Garten und ich mache mir auch heute noch Vorwürfe, dass er in genau der Tierklinik, in dem Raum, wo wir uns zum ersten Mal sahen, gestorben ist – ohne mich! Er muss doch gedacht haben, dass ich ihn nicht mehr wollte und ihn einfach dort zurückgebracht habe… Ich werde mir nie verzeihen, dass ich nicht auf direktem Weg in die Klinik gefahren bin und mich nicht durchgesetzt habe, bei ihm zu bleiben!

Ich werde ihn nie vergessen, nie!

 

Auch noch ein Jahr später habe ich mich erwischt, dass ich alle acht Stunden auf die Uhr geschaut habe, um Chance die Blase zu entleeren.

 

Als ich dann 2010 meine Frau kennenlernte, habe ich ihr immer wieder von Chance erzählt. Sie meinte: “Wenn du wieder mal so eine Katze siehst, kannst du sie ruhig nehmen!” Ich schaute natürlich gleich im Internet, bei verschiedenen Organisationen nach und traf auf “Athan”. Damals dachte ich, solche behinderten Katzen gibt es doch nicht nochmal…

 

So nahm alles seinen Lauf! Ich möchte nie wieder ohne Windelkatzen sein müssen! Chance hat mich auf meinen Weg, auf meine Bestimmung gebracht!

 

 

 

 

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